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Wie man einen Garnstrang entwirrt

(Die englische Originalversion dieses Textes stammt aus meinem Blog.)

Wäre die Welt perfekt, ließe sich jeder Garnstrang problemlos abwickeln. Aber die Welt ist nicht perfekt, und die wenigsten Stränge bestehen aus lauter brav und ordentlich nebeneinanderliegenden Garnschlaufen. Da braucht es nur ein Bad im Färbetopf oder einen kleinen Ausflug in Kinderhände, Katzenpfoten oder zu ähnlichen natürlichen Feinden des Garnstranges an sich, und schon ist das Resultat... ein verwirrter Strang. Manchmal sogar ein schier hoffnungslos verwirrter Strang.

Jetzt gibt es drei Möglichkeiten, mit dem Riesenknoten umzugehen. Möglichkeit Nummer eins? Mülltonne auf, völlig verwirrter Garnstrang rein, Mülltonne zu. Ja, das ist tatsächlich eine Möglichkeit, damit umzugehen, und nicht immer die schlechteste. Wenn das Garn nicht besonders toll war oder besonders dringend gebraucht wird, sich leicht wiederbeschaffen läßt, wenn man keine Lust auf die Entfitzerei oder keine Geduld dafür hat, wenn es Wolle war, die sich beim Verwirren zusätzlich auch noch verfilzt hat - manchmal ist die beherzte Entsorgung nicht nur die schnellste, sondern auch insgesamt betrachtet eine sinnvolle Lösung. Für wirklich teure Garne oder unwiederbeschaffbare Garne ist das allerdings nicht die Möglichkeit der Wahl. Gut, daß es dann Nummer zwei gibt: Eine Verwendung für das Garn finden, für die es nicht in einem Stück bleiben muß. Dann das Garn in Stücke entsprechend der benötigten Länge(n) schneiden - ein Stück weit aus dem verwirrten Strang herausziehen, die entsprechenden Stücke abschneiden, den entstandenen Knoten entwirren und so weiter und so fort, bis der Strang verarbeitet ist. (Natürlich empfiehlt es sich, die abgeschnittenen Stücke jeweils sorgfältig aufzuwickeln, sonst gibt es gleich die nächste Verwirrung.)
 
Das kommt als Lösung auch nicht in Frage? Das Garn soll oder muß wirklich an einem Stück bleiben? Dann bleibt Möglichkeit drei - den Strang abwickeln. Als Vorbereitung ist empfehlenswert: Tief durchatmen, ausreichend Schokolade einkaufen, einen guten Tee kochen und sich auf eine längere Geschichte einstellen. Für eine grobe Abschätzung, wie lange das Entwirren dauern könnte, einfach wild eine Stundenzahl raten und dabei ruhig hoch greifen. Jetzt die Zahl mal zwei nehmen - das ist die pessimistische Version. Und jetzt wird diese Zahl mal zehn genommen. Das ist die Abschätzung. (Ganz ernsthaft - wenn Zeit ein Faktor ist und das Garn bald gebraucht wird, ist Entwirren unter Zeitdruck keine gute Idee. Dann empfiehlt sich wirklich, neues Garn für das Projekt zu kaufen. Wem außerdem schnell der Geduldsfaden reißt, wenn Knoten im echten Faden entwirrt werden müssen - es gibt Leute, denen Garn entwirren tatsächlich Spaß macht. Glücklich, wer eine solche Person kennt und erfolgreich bestechen kann!)

Das entwirrte Garn wird von Hand aufgewickelt, entweder in ein normales Knäuel oder, falls das Garn sehr fein ist, um einen Kern (zum Beispiel den Kern einer Klopapierrolle). Ein Garnwickler ist zwar ein praktisches Hilfsmittel, in diesem Fall aber nicht einsetzbar.

Erster Schritt beim Entwirren: Den Strang so ordnen, daß das große Loch in der Mitte dem originalen Loch der Strangmitte entspricht. Wenn der Strang noch abgebunden ist, sollte das kein Problem sein - einfach eine der Abbindestellen finden. Jetzt werden beide Hände unterhalb der Abbindestelle in die Strangmitte gesteckt und dann auseinandergeführt. Wenn der Strang nicht mehr abgebunden ist, hilft nur Prinzip Hoffnung - hier muß geraten werden, wo die Hände in den Strang kommen.

Als zweiter Schritt wird der Strang jetzt vorsichtig, aber sehr gründlich zwischen den Händen gestreckt. Dafür die Hände auseinanderziehen, den Strang ein paar Zentimeter weiterdrehen, die Hände wieder auseinanderziehen und so weiter. Dieses Strecken soll die einzelnen Wicklungen wieder etwas besser nebeneinanderlegen. Bei stabilen Garnen kann das Strecken auch mit Schwung geschehen, feine und empfindliche Garne besser nur mit sanftem Nachdruck strecken.

Jetzt kommt der Strang auf eine gute Haspel. Gut bedeutet: Die Haspel soll leicht drehbar sein, kein hohes Eigengewicht haben und möglichst viele Stützpunkte für das Garn (sprich: Arme) besitzen. Wer noch keine Haspel hat - dies ist die Gelegenheit, eine zu bauen oder zu kaufen (und wer sich die Arbeit antut, einen übelst verwirrten Strang zu retten, kann vermutlich ohnehin eine Haspel brauchen). Bei einer einfachen vierarmigen Haspel kann es zu Problemen beim Abwickeln kommen, weil der aufgespannte Garnstrang eher ein Quadrat als einen Kreis bildet und das Garn sich in den Ecken gerne in sich selbst verfängt beziehungsweise verklemmt. Wenn das ein Problem darstellt, ist eine Haspel mit mehr Armen empfehlenswert - am besten gleich mit Armen, die eine breite Auflagefläche haben (zum Beispiel die Goko-Haspel von Schacht). Je runder der Strang auf der Haspel ist, desto reibungsloser das Abwickeln.

Der Strang auf der Haspel wird dann so gut wie möglich ausgebreitet, so daß er möglichst flach liegt (bei klassischen Schirmhaspeln ist das nicht möglich). Dann kann das Abwickeln beginnen, wenn möglich, mit dem Garnende, das auf der Außenseite des Stranges liegt. Der Strang ist im Endeffekt eine große Garnspirale, und die Spirale läßt sich von außen damit - logischerweise - besser abwickeln als von innen. Bei einem verwirrten Strang liegen die einzelnen Windungen der Spirale nicht mehr ordentlich nebeneinander, so daß sie sich gegenseitig festklemmen können; das macht das Abwickeln schwieriger. Je besser man es schafft, die Spiralwindungen wieder in ihre ursprüngliche Ordnung zurückzuführen, desto leichter läßt sich der Strang abwickeln.

Während der Wickelei gibt es jetzt zwei verschiedene Typen von Verwirrungen. (Bei Garnen aus Wolle gibt es eine dritte Hemmquelle: Das Garn kann leicht verfilzt sein und dadurch aneinanderkleben, das ist aber keine richtige knotenmäßige Verwirrung, sondern nur nervig.)

Typ eins: Beim Abwickeln löst sich der Faden nicht mehr richtig von der Strangoberfläche ab; stattdessen wird das Garn durch viele kurze Garnstücke, die kleine Dreiecke bilden, festgehalten. Dies sind Schlaufen, die sich wiederum gegenseitig festhalten und den abzuwickelnden Faden gleich mit. Um das Problem zu beheben, entweder mit dem Finger unter die abzuwickelnde Windung greifen und sanft nach oben ziehen oder mit dem Finger in einem Dreieck gegen die Arbeitsrichtung (Abwickelrichtung) fahren. Das sollte die kleinen Dreiecke auflösen - jedes der Dreiecke ist eine Wicklung, die durch eine andere Wicklung überwickelt und dadurch blockiert wird. Ein Stück der Wicklung von weiter "strangaufwärts" überholt beim Abwickeln die blockierte Stelle und bildet die Spitze des Dreiecks. Wenn man mit dem Finger gegen die Abwickelrichtung fährt, findet sich früher oder später die blockierte Stelle und kann durch leichten Zug in Abwickelrichtung gelöst werden.

Klassische Problemstellen hierfür sind die Haspelarme, weil hier Knicke im Strang entstehen. Je größer der Winkel der Knicke, desto weniger fängt sich das Garn (daher sind Haspeln mit mehr Armen besser geeignet). Wenn sich das Garn an den Ecken sperrt, hilft es, mit den Fingern unter den Strang zu gehen und die Ecke geradezuziehen; mit leichtem Zug an den geklemmten Garnen sollten sich die Blockaden jetzt lösen lassen.

Typ zwei: Ab und an kann es passieren, daß sich eine Schlaufe oder sogar mehrere Schlaufen um den abzuwickelnden Faden bilden. Geht man mit dem Finger in der Schlaufe zurück, stellt sich heraus, daß die Schlaufe eine Riesenversion der kleinen Garndreiecke ist. Manchmal ist es möglich, mit dem Finger bis zur Blockadestelle zurückzugehen und die Schlaufe so zu lösen; dann mit dem Finger unter dem befreiten Schlaufenfaden wieder zurück zum Arbeitsende gleiten, um die Schlaufe vollständig zu entfernen. Manchmal geht die Schlaufe aber schon mehrmals um die Haspel herum. Theoretisch ist natürlich auch hier möglich, bis zur blockierten Stelle zurückzugehen - in der Praxis ist es bei den Riesenschlaufen aber einfacher, das bereits gewickelte Garn durch die Schlaufe zu führen und das Problem so zu lösen. Aber Achtung - damit ist die grundlegende Ordnung des Garns im Strang verändert! Es ist jetzt keine durchgehende Spirale mehr, sondern hat irgendwo einen halben Schlag (d.h. einen potentiellen Knoten). Das ist kein Problem, aber sollte auch nicht in Vergessenheit geraten, denn früher oder später wird dadurch eine zweite Schlaufe auftauchen, durch die das Knäuel geführt werden muß.

Wenn sich verwirrte Stellen im Strang zeigen, hilft es, sie mit den Fingern zur Lockerung auseinanderzuziehen. Wenn sich eine Stelle besonders hartnäckig zeigt und der Arbeitsfaden sich gar nicht befreien läßt, am besten mit dem Knäuel durchtauchen und weiterwickeln - auch diese Stelle wird sich irgendwann auflösen. Bei einer Haspel mit breiten Armen lohnt es sich, den Strang ab und zu wieder breiter zu ziehen, so daß weniger Lagen Garn übereinanderliegen.

Am wichtigsten ist aber eigentlich: Keine Hektik! Garnstränge zu entwirren, ist anstrengend, und Pausen sind hilfreich. Der Strang muß nicht in einem Tag entwirrt werden; weniger stressig ist es, die Haspel an eine gut zugängliche Stelle mit gutem Licht zu stellen und einfach immer wieder mal ein kleines Stück abzuwickeln. Am Strang zu entwirren, wenn man verärgert, gestreßt oder ungeduldig ist, ist meist keine gute Idee. Garn zu entwirren ist eine langsame, ruhige Angelegenheit, und wenn man sich nicht unter (Zeit-)Druck dabei setzt, kann es sogar eine beruhigende, meditative Tätigkeit sein.

Viel Erfolg beim Entwirren!

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